60er

Mit dem sechzigsten Lebensjahr beginnt eine neue Lebensphase: das Alter. Neu? Lebensphase? Alt?

Bis zu 30 Jahren und mehr der Lebensspanne werden unter die Überschrift „Alter“ gestellt. Damit suggerieren wir (uns selbst), nunmehr sei die Zeit der Ermüdung, der Entspannung, des beginnenden Sterbens eingetreten. Es scheinen Bilder auf: Großvater im sonnigen Garten, die gütige Oma mit munteren Enkeln, der Pflegefall.

Wir verstellen uns den Zugang zu einer differenzierten Betrachtung. Das „Alter“ hingegen umfasst mindestens drei Phasen: das Aktionsalter, das Entspannungsalter, das Pflegealter. Und selbst diese Differenzierung ist noch sehr schematisch.

Das Aktionsalter endet mit ca. 75, das Entspannungsalter mit 90 und geht dem Pflegealter voraus. Allen „Altersphasen” ist gemein, dass sie gekennzeichnet sind durch die sukzessive (Selbst)isolierung von der Gesellschaft – zunächst unmerklich, dann schleichend, dann aggressiv, zuletzt endgültig.

Die Absonderung wird begleitet mit einer pauschalen Kritik am vermeintlichen Wohlstand der Alten, der zudem durch Ausbeutung der Jungen zustande käme.

Die Absonderung wird begleitet durch das Gejammere der Alten über Renten, Pensionen, Krankheiten, Wartezeiten beim Arzt und die Zipperlein des Alters.

Unzufriedenheit entsteht durch mangelnde Kommunikation und fehlende Aktion. Soweit pauschal.

Konkret: Wir brauchen einen Lebensphasenvertrag eigener Art: ein Vertrag der Alten untereinander. Denn das, was viele in der dritten Altersphase zu wenig haben, habe viele in der ersten Phase zu viel: Energie und Aktionsmöglichkeiten.

So könnte es gehen: in den ersten fünfzehn Jahre wird investiert. Der eine kauft für die bettlägerige Nachbarin ein, der zweite schiebt Schnee für den schwachen Nachbarn, die dritte entsorgt das Gartenholz für den Bekannten mit beginnender Demenz. Die Aktiven erhalten für diese Engagements eine „Zeitgutschrift“ und „zahlen“ sie auf ein „Lebenskonto“ ein.

Von diesem Konto können sie abbuchen, wenn sie später selbst schwach, bettlägerig oder dement werden. Sie erarbeiten sich einen Anspruch auf Nachbarschaftshilfe. Die Konten werden treuhänderisch geführt von einer sozialen Organisation, der Kirchengemeinde oder dem Stadtteilbüro. Mäzene im Hintergrund garantieren durch finanzielle Bürgschaften, dass das Eingezahlte auch wieder „ausgezahlt“ wird – selbst wenn keine Helfer und Helferinnen aus der ersten Altersphase zur Verfügung stehen.

Utopisch? Nicht wirklich. An wenigen Orten der Republik werden solche Modelle versucht – z.B. bei den „Öcher Frönnden“ aus Aachen, die dafür 2009 den ersten Preis beim bundesweiten Wettbewerb „Das hilfreiche Alter hilfreicher machen“ erhielten.