Solidarität

Gibt man bei Google ahnungslos „Solidarität“ ein, wird zunächst Solidaritätszuschlag angeboten. So weit sind wir gekommen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die das Soziale umformatiert. Unter der Oberfläche der alten Begriffe tauchen die neuen Wahrheiten auf. Solidarität entstand einmal aus der Fähigkeit, Mit-Leidenschaft zu entwickeln, sich zu beteiligen durch persönliche Hinwendung. Aus dieser Hinwendung entwickelten sich ritualisierte und tradierte Formen: die Familienbande, die Nachbarschaft, das Almosen.

Je komplexer die Gesellschaften wurden, desto organisierter wurde Solidarität. Im Bergbau wurde in aus der kirchlichen „St. Johannes-Bruderschaft“ Goslar, gespeist von Knappen-Pfennigen, die sogenannte Büchsenkasse und später das Knappschaftswesen. Die erste Sozialversicherung entstand.

Geblieben ist der Grundgedanke: in der Not, in Phasen großer Belastung, wird die Last auf mehreren Schultern verteilt und somit für den einzelnen ertragbar. Unser Staats- und Rechtswesen ist ohne gegenseitige Versicherung des Solidarischen, des Sozialen, nicht denkbar. Solidarität ist die Voraussetzung und der Entstehungsanlass demokratischer Gesellschaften. Liberale deuten gern um und halten die Freiheit oder die Befreiung für den Anlass. Die Freiheit entsteht erst durch die Solidarität.

Schon seit Jahren wird Solidarität ausgehöhlt: nicht Menschen werden  versichert, sondern Risiken. Wir individualisieren, statt zu vergemeinschaften: in der KFZ-Versicherung wird nach Km-Zahl, Beruf oder Geschlecht prämiert, in der Rentenversicherung wird der Generationenvertrag Schritt für Schritt ruiniert und die Krankenversicherung beginnt, ihre Prämien zu staffeln: Raucher, Säufer, Krebsrisiko?

War Solidarität früher die Zusage an die Person (und nicht an sein Risiko), so ist Solidarität heute nur noch beschränkt haftbar. Und wir stehen gerade am Anfang.

Vorgemacht hat es Amerika: Der Kampf gegen die Krankenversicherung ist dort ein Kampf für die Individualität – auf europäisch: für die Entsolidarisierng von Menschen.

Solidarität lebt von Voraussetzungslosigkeit: Ich nehme dich so wie du bist und ich dulde deine Schwächen und Fehler. Durch meine Hinwendung lasse ich nicht zu, dass du mit deinen Schwächen und Fehlern untergehst oder  dich verlierst. Ich stigmatisiere dich nicht. Ich ertrage, dass du die Freiheit hast, dich zugrunde zu richten. Ich werde alles dafür tun, dass dies nicht geschieht, aber ich zwinge dich nicht.

Solidarität ist das Gewähren von Freiheit.