Vertrauen

Wir erleben gegenwärtig den Niedergang eines Gefühls: Vertrauen. An seine Stelle tritt Transparenz, die politische korrekte Forderung des digitalen Zeitalters.

Transparenz wird beschworen im Zusammenhang mit der Informationsfreiheit, ist steile Kategorie des Diskurses über Korruption, begleitet den Weg des politisch Korrekten. Das Wort ist Fetisch und Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung. Facebook-Zuckerberg begründet damit die Ideologie der „Post Privacy“.

In der so wohlmeinend und emphatisch geführten Diskussion verliert eine andere Kategorie an Bedeutung: Vertrauen.

Vertrauen ist nur möglich in einem Zustand zwischen Wissen und Nichtwissen, so der präzise Denker Byung-Chul Han. Vertrauen heiße trotz Nichtwissen gegenüber dem anderen eine positive Beziehung zu ihm aufzubauen. Es macht Handlungen möglich trotz Nichtwissens. Weiß ich im Vorfeld alles, erübrigt sich Vertrauen. Transparenz ist ein Zustand, in dem jedes Nichtwissen eliminiert ist. Wo Transparenz herrscht, ist kein Raum für Vertrauen.

Eine Gesellschaft, die durch und durch transparent sein will, ist eine Gesellschaft des Misstrauens, die auf Kontrolle setzt.

Das Private ist das, was uns leben lässt. Und Privatheit funktioniert nicht ohne Vertrauen. „Von dem, was die anderen nicht von mir wissen, lebe ich.“ (Peter Handke)

Transparenz vernichtet Privatheit. Wenn alles öffentlich sein soll und alles Geöffnete ökonomisch durch Monstermaschinen wie Facebook ausbeutbar ist, dann sind wir hinter jede Privatheit und Intimität gelangt. Alles wird ausgestellt und durch diese Ausstellung pornografisch. Wir sind Täter und Opfer zugleich.

 

Byung-Cul Han ist Professor für Philosophie und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. Er hat 2012 „Transparenzgesellschaft“ bei Matthes & Seitz, Berlin, veröffentlicht.