Organisations- und Personalentwicklung in der (katholisch* verfassten – von der ist hier die Rede) Kirche ist ein fortwährender Umgang mit Widersprüchen, Begrenztheiten, Selbsttäuschungen und dem Prinzip des „kalkulierten Fehlers“. Wir wissen eigentlich wie es richtig geht, aber die Verhältnisse sind nicht so und deswegen machen wir es reflektiert falsch.
Das zentrale Problem: Personalentwicklung, insbesondere Führungskräfteentwicklung lebt von der Fiktion der möglichen Karriere, mindestens aber von der Verheißung zufriedenstellender Arbeit, die nicht in Routinen stagniert. Kirche aber lebt mit Karrierebarrieren: Die Spitzenjobs sind Priestern vorbehalten. Das katholische Drama: in jüngerer Zeit nimmt der Priesternachwuchs rapide ab, damit auch die Möglichkeit der qualitativen Auslese. Mäßige Führungsqualität, auch die theologische, wird zur Regel. Frauen und nicht geweihte Theologen haben keinen Zugang zur Führungsschicht, da sie nicht der Kaste angehören. Das System hat mit der gewollten Selbstbeschränkung zu tun, da nicht Qualifikation, sondern Weihe ausschlaggebend ist für Aufstieg und Grad der Identifikation bzw. Selbstverwirklichung. Hochqualifizierte Mitarbeitende müssen die Erfahrung machen, dass sie zwar kompetent, aber nicht karrierefähig sind. Alle gut gemeinten Versuche, dieses System zu umgehen oder zu unterlaufen scheitern in der Regel bzw. bleiben unvollendet. Die Karrieremöglichkeiten auf der mittleren Managementebene entschädigen nicht, da das ganze System verschattet ist.
Daraus resultiert eine gemeinhin organisationstödliche Einstellung. Identifikation ist für die Spitze nur als Teilidentifkation zu bekommen. Sie bezieht sich meistens auf das eigene klar umrissene Aufgabenfeld und weniger auf die Gesamtorganisation. Leitende leben mit einer Daueropposition zum System, dass ihnen Barrieren nicht nur für die eigene Entwicklung in den Weg stellen, sondern auch Dauerdistanz erzeugt: „Ich würde ja, wenn man mich ließe, wenn ich könnte…“ Zu der realen Beschränkung gesellt sich die Selbstbeschränkung. Zynismus wird zum scheinbaren Überlebenstool. Der permanente Wechsel von Nähe zur leitenden Idee und Distanz zur Spitze ermüdet und lässt Routinen entstehen, in denen mit „Containern“ die eigene Machtlosigkeit nach unten kaschiert wird.
Schlimmer noch: Es entsteht die dauerhafte Versuchung einer Verbrüderung mit der unteren Ebene gegen die obere: „Wir könnten ja, aber…“
Diese Entwicklung kann man in der katholischen Kirche auch auf höchster Ebene beobachten kann. Man möchte gern, würde gar, aber der Vatikan, die Glaubenskongregation, das Universalitätsprinzip stehen dem entgegen. So wird dem System Veränderungskraft entzogen. Lähmung entsteht.
Eine Folge ist die Abgrenzung zu Lernerfahrungen anderer Organisationen: Relaunches, Marketing, oder Wagniskapital sind innerhalb der Verharrungsapparates nicht gewollt oder nicht riskiert – abgesehen davon, dass die entsprechende „menschliche Ressource“ nicht vorgehalten wird.
Diese Verharrungskultur ist m.E. nicht der Tradition oder dem vorherrschenden Konservatismus geschuldet, sondern eher der Angst, schlimmer noch: der Feigheit.
Was tun – auch mit „kalkulierten Fehlern“? Es würde den Rahmen dieser „Resonanz“ sprengen, wenn man darauf seriös Antworten geben wollte. Einige provozierende Vorschläge:
Innerhalb der Kirche gibt es künftig einen permanenten Aufgabenwechsel, der Veränderung von Arbeitsort, Arbeitsfeld und Arbeitsebene sicherstellt. Der „Blickwechsel“ innerhalb der Organisation heilt zwar nicht das Skizzierte, kann aber helfen, zu ertragen und den immanenten Zynismus im Zaun zu halten.
Kirche wendet sich radikal ab von ihren internen Berufsausbildungen. Sie löst ihre Fortbildungseinrichtungen auf und profitiert stattdessen von anderen Instituten und Konzepten. Fortbildungen für bestimmte Arbeitsfelder werden on-the-job geleistet.
Auf Dauer werden nur noch Teilzeitbeschäftigungen angeboten – egal wer, ob Bischof oder Sekretärin: Jeder arbeitet in einem weiteren Brotberuf und erfährt so Kontraste und Lebenswirklichkeiten. Kirche stellt dafür notwendige PE-Instrumente zur Verfügung und begleitet bei diesen zweiten Arbeitsplätzen, ermöglicht Übergänge, garantiert notwendige Sicherheiten.
Was ändert dass am theologischen begründbaren und historisch gewachsenen System? Nichts. Zunächst nichts.
Es entstehen neue, unbekannte Energien. Mittelfristig verändert es die Erfahrungen, die Weltsicht und die Vision. Der Vorrat an Handlungsalternativen erhöht sich, der Zynismus wird ersetzt durch dauernde Neuorientierung, Barrieren werden niedriger.
Wenn Theologie den Weg begleitet, kann aus vielen Qualitäten Quantität entstehen – im besten Falle eine Langzeitstrategie, entstanden aus Biotopen neuer Praxis.
*Die Unterschiede zur Evangelischen Kirche müssen gesondert diskutiert werden – besonders hinsichtlich des möglichen Einwandes, Karrierebarrieren würden dort nicht bestehen.
Dieser Text erschien zuerst in der Juni-Ausgabe der Online-Zeitschft “futur2 – Zeitschrift für Strategie und Entwicklung in Kirche und Gesellschaft” als “Resonanz” auf eine 2016/17 erfolgte Befragung kirchlicher Führungskräfte zur Kirchenentwicklung und -führung.